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Die Alte Chronik von 1956

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Die kirchlichen Verhältnisse

Die Glocken

Wie alte Leute erzählten, habe Dromersheim in früherer Zeit eine sehr schöne Glocke gehabt. Wie urkundlich feststeht, war sie nicht die einzige in diesem großen mächtigen Turm. Aber folgen wir den Erzählungen. In den napoleonischen Kriegen habe man die Glocke im Rheine versenkt, um sie dem Zugriff fremder Herren zu entziehen. Als Napoleon geschlagen und die Völker abgezogen waren, wollte man sie wieder holen, aber sie war verschwunden. Nur noch eine geringe, minderwertige sei dagewesen. Die schöne Dromersheimer Glocke hätten die Horrweiler an sich genommen, und eine Herausgabe sei nicht zu erreichen gewesen. Wenn sie vom Turme der Horrweiler Kirche ertönte, hätten die Leute auf dem Felde ihre Arbeit niedergelegt und gesagt: „Das ist unsere Glocke!" Diese Erzählung, so interessant sie auch ist, hat nur legendären Wert. Alten Erzählungen liegt häufig irgend ein echter Kern zugrunde, aber was Wahrheit und was Dichtung ist, läßt sich nicht sagen.
 
Noch im Jahre 1883 hing auf dem Türmchen des alten Schulhauses, wo es als Schulgeläui diente, ein Glöckchen im Gewicht von 38 Pfund. Seine Inschrift lautete: „Andreas Meis, Catharina, als seine Hausfrau habens zu Ehren des Gottesdiens lassen machen Anno 1695." Von welchem Kirchturm es zuvor seine eherne Stimme im Sinne seiner Stifter erschallen ließ, wissen wir nicht. Seinem Alter nach kann es zuerst der Petrus- oder der Marienkirche und dann der Peter- und Paulskirche gedient haben, bis es beim Bau des alten Schulhauses (1830) auf dem Türmchen desselben Verwendung fand. In den dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts wird hier schon ein „Glöckelgen" genannt. Im Jahre 1905 hing auf dem Schulhaus ein Glöckchen mit dem Bildnis des hl. Paulus mit folgender Inschrift: „Josef Zehbauer Goss mich in Mainz vor die Gemeind Dromersheim A (anno) 1816." Es war die kleinste der alten Glocken, die von dem alten Geläut vor 1878 erhalten geblieben war. Es fiel 1917 zusammen mit dem Glöckchen von 1695 dem Kriege zum Opfer. Es ist möglich, dass Dromersheim im Jahre 1816 ein ganzes Geläute bekam.
 
In der Gemeinderatssitzung am 24. 9. 1872, in der man über den Pfarrgarten entschied, wurde auch ein folgenschwerer Beschluß gefaßt über die Zugehörigkeit der Glocken. Mit Einschluß des Bürgermeisters wurde mit 5:4 Stimmen beschlossen, dass „die Glocken als der Gemeinde gehörig" zu erachten seien. Das führte zu dem sog. „Glockenstreit", der sich 6 Jahre lang latent hinzog. Er kam im Jahre 1878 jäh zum Ausbruch und versetzte die Gemüter in heftige Aufwallung. Im Turme der Pfarrkirche hing „ein recht aimes Geläut von drei kleinen Glocken", und Pfarrer Hilgenreiner wußte seine Pfarrkinder zu begeistern, ein neues Geläute anzuschaffen. Die Summe konnte jedoch nicht auf einmal aufgebracht werden. Deshalb machte der Pfarrer den Vorschlag, die Leute möchten sich auf einige Jahre verpflichten, zu bestimmten Zeiten einen gewissen Beitrag zu entrichten. Die Gemeinde- und die Kirchenräte gingen in periodischen Abständen von Haus zu Haus und sammelten die Beiträge ein. Diese wurden auf der Spar- und Leihbank zu Bingen unter der Bezeichnung „Glockenkapital" hinterlegt und von der Zivilgemeinde verwaltet. Vor der Anschaffung der neuen Glocken mußte jedoch die Frage entschieden werden, ob sie der Kirchen- oder der Zivilgemeinde angehören sollten. Am 26. 9. 1878 kamen der Gemeinderat und der Kirchenvorstand zur gemeinsamen Beratung und Beschlußfassung zusammen. In dem Protokoll heißt es, dass der allgemeine Wunsch in der Gemeinde laut geworden sei, den sog. Glockenstreit beizulegen. Sämtliche hiesigen Ortsbürger und Haushaltungsvorstände hätten beantragt, „dahin wirken zu wollen, dass die drei vorhandenen Glocken als dem katholischen Kirchenfonds gehörig erachtet werden sollen". Auch das Glockenkapital nebst Zinsen soll diesem Fonds zur Anschaffung von neuen Glocken zugewendet werden. Es wird noch berichtet, dass „diejenigen, die früher die Glocken für die Gemeinde reserviert wissen wollten, nunmehr dahin beantragen, dies aufzugeben und die Glocken, sowie das angesammelte Geld dem kath. Kirchenfonds zu überweisen". Die Ortsverwaltung konnte die Stimme der gesamten Bevölkerung nicht überhören, und da auch die Gemeinderäte, die vorher die Glocken als Gemeindeeigentum haben wollten, den Rückzug angetreten hatten, wurde beschlossen, dass die drei Glocken dem kath. Kirchenfonds angehören sollten. Ebenso sollte diesem das Glockenkapital zugewendet werden zur Anschaffung von neuen Glocken. Diese sollten auch Eigentum des kath. Kirchenfonds werden. Danach scheint es, dass die Gemeinde sich nicht als Eigentümer der Glockengelder, die irrtümlich auf ihrem Namen standen, betrachtet hat. Es handelte sich demnach auch nicht um eine einseitige Verzichtleistung der Gemeinde auf die Gelder, sondern um eine Rückerstattung an den rechtmäßigen Eigentümer. Von beiden Körperschaften wurde dann „zugestanden und akzeptiert", dass die Zivilgemeinde an den neuen Glocken, wie seither, folgende Rechte ungestört und ungeschmälert ausüben solle:

  1. das sog. Taggeläüt (morgens, mittags und abends) und zwar zu den von der Zivilgemeinde zu bestimmenden Stunden,
  2. das Herbstgeläut,
  3. das Geläut beim Ausbruch eines Brandes oder sonstiger Unglücksfälle,
  4. das Geläut bei Versteigerungen, gleichviel ob es Gemeindeversteigerungen oder Versteigerungen von Privaten betrifft,
  5. bei Gemeindeversammlungen.

Des weiteren soll die Zivilgemeinde berechtigt sein, sich sämtlicher Glocken zum Schlagen der Gemeindeuhr zu bedienen.
Der Bürgermeister glaubte, damit „seine Schuldigkeit getan zu haben" und suchte um Genehmigung dieses Beschlusses beim Kreisamt Bingen nach. Der Streit wechselte nun seine Fronten, da das Kreisamt Bingen sich einschaltete und seine Einwände erhob. Es wollte eine Glocke ausschließlich der Zivilgemeinde reserviert wissen und legte der Zivilgemeinde nahe, es evtl. zum Prozeß kommen zu lassen. Am 17. 11. 1878 beschäftigten sich Gemeinderat und Kirchenvorstand erneut mit der Angelegenheit. Die Haltung der Einwohnerschaft hatte sich versteift, weshalb man nach einem Kompromiß suchte, der in folgendem Beschluß zum Ausdruck kam: „Da die eingesammelten Gelder nur von Katholiken und nur für katholische Zwecke hergegeben wurden, so erscheint es gegen die Intention der Geber zu handeln, wenn man eine der anzuschaffenden Glocken der Zivilgemeinde überlassen wollte. Um jedoch eine friedliche Lösung zu erzielen, wird beschlossen, dass anstatt die drei gegenwärtig vorhandenen Glocken um- zuschmelzen bzw. zu vertauschen, nur zwei, nämlich die kleinste und die größte diesem Zweck übergeben werden sollen. Die mittlere Glocke soll in dem Turm verbleiben, um der Zivilgemeinde als alleiniges Eigentum anzugehören". Bei einem etwaigen Prozeß stünde es immerhin in Frage, ob ein günstigeres Resultat erzielt werden könne. „Ein größeres Recht an den neu anzuschaffenden Glocken als das in dem Protokoll vom 26. 9. 1878 angeführt, ist um deswillen nicht zu erlangen, da die Spender die Leistung der betreffenden Zahlungen davon abhängig machen, dass ein weiteres Recht hieran nicht eingeräumt werden dürfe, widrigenfalls sie ihre bereits bezahlten Beträge wieder reklamieren und von den noch zu leistenden Beiträgen abstehen werden und müßte notwendigerweise das ganze Projekt zerfallen".
 
In seiner Verfügung vom 20. 11. 1878 machte das Kreisamt seine Genehmigung von dem Zusatz abhängig, dass die der Zivilgemeinde überlassene Glocke zu deren unbeschränkten Benützung gehören solle, und zwar nach dem Ermessen des Gemeinderats. Auf dieser Basis einigte man sich, und das Kreisamt gab seine Genehmigung. Das Glockenkapital wurde der katholischen Kirche für die Anschaffung der neuen Glocken zugewendet, wodurch der Glockenstreit sein Ende fand. Noch im selben Jahre wurden vier neue Glocken angeschafft im Gesamtgewicht von 56,34 Zentner. Auf jeder derselben war eingegossen: „Carolus Hilgenreiner, Pfarrer, Peter Josef Dickescheid, Bürgermeister, 1878, Gegossen von G. Hamm — Sohn in Kaiserslautern." Außerdem trug die große Glocke das Bildnis der Kirchenpatrone Petrus und Paulus mit der Inschrift: „Sancti Petri et Pauli orate pro nobis." Die zweite das Bildnis der Muttergottes mit der Inschrift: „Sancte Maria — ora pro nobis." Die dritte das Bildnis des hl. Josef mit der Inschrift: „Sancte Josef — ora pro nobis." Die vierte das Bildnis zweier Engel mit der Inschrift: „Omnes sancte Angeli et Archangeli — orate pro nobis." Wie schon erwähnt, blieb die kleinste der alten Glocken erhalten und diente als Schulglocke auf dem alten Schulhause.
Rund 40 Jahre hat dieses Geläut seinem hehren Zwecke gedient. Im Jahre 1917 fiel es dem Kriege zum Opfer. Die Pfarrchronik berichtet darüber: „Im Juli wurde das schöne Geläut unserer Pfarrkirche zu Zwecken der Kriegführung beschlagnahmt und fortgeschafft. Nur eine Glocke ist geblieben. Nur ungern sah die Gemeinde die Kirchenglocken Abschied nehmen, denn das schöne, harmonische Geläut, welches die Sonn- und Feiertage so sehr erhöhte, war von allen geliebt und geschätzt." — Nach Beendigung des Krieges bewährte sich der Opfersinn der Gemeinde in hervorragender Weise, so dass schon am 3. 2. 1920 die neuen Glocken zur Freude der ganzen Gemeinde feierlich eingeweiht werden konnten. Sie wurden gegossen in der Glockengießerei der Gebrüder Ulrich in Apolda. Ihr Gesamtgewicht betrug 60,18 Ztr., der Kostenaufwand 63 188 M (= 3321 Goldmark).
Sie waren abgestimmt auf cis — e — fis — gis.

  1. Die cis-Glocke, 33,30 Ztr., Inschrift: „Cum St. Apostolis Petro et Paulo venite jubilemus Deo";
  2. die e-Glocke, 22,38 Ztr., der Himmelskönigin geweiht. Inschrift: „Cum Regina coelorum magnificate Dominum";
  3. die fis-Glocke, 14,86 Ztr., dem hl. Josef geweiht. Inschrift: „Cum S. Joseph ambulate coram Deo";
  4. die gis-Glocke, 9,64 Ztr., den hl. Engeln und Erzengeln geweiht. Inschrift: „Cum Angelis et Archangelis Semper videte faciem Patries."

Wiederum streckte ein unerbittlicher Krieg seine vernichtende Hand nach unseren Glocken aus. Am 14. 1. 1942 mußten sie ihren Platz verlassen, um von dem Rachen der Zerstörung verschlungen zu werden. Die Trauer und den Schmerz der Einwohner über den erlittenen Verlust berichtet in lapidarer Kürze die Pfarrchronik für diesen Tag- „Erschütternd war das Abschiedsgeläut unserer Glocken. Kaum 20 Jahre lang durften sie ihren heiligen Dienst auf dem Turm unserer Kirche verrichten. Nur die kleine Engelsglocke durfte bleiben. Aus dem geweihten Metall der Glocken sollen nun Bomben, Granaten und Kanonen werden. Ob das Segen bringt?" — Die Geschichte hat auf diese Frage die Antwort gegeben. Durch den völligen Zusammenbruch Deutschlands im zweiten Weltkriege war die Beschaffung neuer Glocken wesentlich schwieriger als nach dem ersten. Am 18. 4. 1949 fand die erste Kollekte statt. Sie wurde von den Männern des Kirchenvorstandes vorgenommen und erbrachte das schöne Ergebnis von 11 000 DM. Es zeigte sich, wie sehr die Bevölkerung ihr trautes Geläut vermißte. Die restlichen Gelder konnten im Laufe desselben Jahres auch noch aufgebracht werden, so dass man das neue Geläut in Auftrag geben konnte. Es wurde bezogen von der Glocken- und Metallgießerei Albert Junker in Brilon, Westfalen, und besteht aus „Briloner Sonderbronze". In Ton und Beschriftung entsprechen die neuen Glocken ihren vorausgegangenen Schwestern. Ihr Gesamtgewicht beträgt 83,96 Ztr. (35,08 + 22,24 + 15,80 + 10,84 Ztr.), die Gesamtkosten 16 387,75 DM. Für die abgelieferte alte Bronzeglocke kamen 1500 DM in Anrechnung, so dass die Gemeinde 14 887,75 DM aufbringen mußte. Am 15. 12. 1949 trafen sie durch Lastwagen in der Gemeinde ein, so dass sie nach vorheriger Benediktion am 18. 12. 1949 zur Einleitung des Weihnachtsfestes am „Heili-gen Abend" zum ersten Mal ihren Schall über Dächer und Fluren trugen zur Freude der Bevölkerung unseres Heimatdorfes. Was wäre mehr zu wünschen, als dass sie nun für alle Zeiten ihrer hehren Bestimmung erhalten blieben!

       
Inhaltsverzeichnis
Quellen:
Müller: Chronik von Dromersheim

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