www.bingen.de

Die Odyssee „Der schönen Dromersheimerin'

Von 1907 bis zum 2. Weltkrieg war eine wunderschöne Madonna im Kaiser Friedrich Museum in Berlin ausgestellt, unter dem Namen „Madonna mit dem Kinde auf der Mondsichel". 1925 kam sie noch einmal an den Rhein und wurde zusammen mit der Eberbacher Madonna auf der Jahrtausendfeier der. Rheinlande in Köln ausgestellt.

Die Statue entstand wahrscheinlich in der Zeit um 1420 und war ein hervorragendes Werk der mittelalterlichen Tonplastik. - Sie stammt mit Sicherheit von dem gleichen Künstler, der auch die Hallgartener Madonna sowie die Statuen der hl. Barbara und der hl. Katharina in der Binger Basilika geschaffen hat. Sowohl die Mutter Gottes von Schmerlenbach als auch die Eberbacher Madonna zeigen interessante Ähnlichkeiten mit der Dromersheimer Madonna. Die Eberbacher Madonna ist in dem bekannten Pariser Kunstmuseum Louvre zu bewundern. Zurzeit Ludwig des XIV. kam sie nach Frankreich und wurde dort als „Die schöne Elsässerin" bekannt und im Louvre ausgestellt.

Während die schöne Elsässerin mit der Hallgartenerin in allem genau übereinstimmt, weicht „Die schöne Dromersheimerin' von beiden ab. Aber im Gesicht, im Kleid und in der Komposition der Masse stimmt sie mit ihnen vollkommen überein.

Die Arbeit in der Tonwerkstatt

Alle genannten Figuren sind aus Ton. Tonfiguren müssen wegen Spannungen, die beim Trocknen und Brennen auftreten, gleichmäßig ausgehöhlt sein. Das setzt voraus, dass der Künstler vor der endgültigen Ausmodellierung über die nötigen Hohlkörper verfügt, die entweder durch hohles Aufbauen der Figur aus Tonwülsten oder durch Einformen des Arbeitstones in eine Hohlform angefertigt werden.

Es ist erwiesen, dass ein solches Negativ der Hallgartenerin zugrunde lag. Diese Form umspannte nicht den ganzen Körper, sondern war hinten offen und enthielt die vereinfachte Figur. Ihr Jesuskind stammt aus einer alle Seiten umkleidenden Form. Identische Quetschnähte im Innern beweisen dies.

Das Dromersheimer Jesuskind gleicht den anderen Madonnenkindern, allerdings mit etwas mehr Locken auf dem. Köpfchen. Diese wurden früher in der Regel nach der Formung aufmodelliert. Es stammt also aus der gleichen Werkstatt, in der das gemeinsame Negativ war und das seinen Ursprung in der mittelrheinischen Tonkunstschule hat.

Unsere Muttergottes hat die gleiche Komposition der Massen und dasselbe liebliche Gesicht. Sie stammt also aus dem hinten offenen Negativ, das der Hallgartener und der Elsässerin- zugrunde lag; denn dieses liebliche Gesicht in seiner ausdrucksvollen Schönheit konnte dem Künstler nur einmal gelingen! Es wurde durch die Hohlform festgehalten und konnte so ein zweites, ein drittes und vielleicht sogar ein viertes Mal erscheinen.
Auskleidungen und Formen mit knetgerechtem Ton lassen direkt nach Abnahme der Formteile, also vor dem Trocknen der Masse, jede erdenkbare aber nicht einschneidende Änderung und Übermodellierung zu. Von dieser Möglichkeit wurde bei unserer „Schönen Dromersheimerin" ausgiebig Gebrauch gemacht.

Kunstsachverständige nehmen an, dass diese aus Ton gebrannte Schröter-Madonna (Die Mutter des- Herrn ist die Patronin der Schröter Zunft.) früher die alte Marienkirche an der „Oberen Pforte', Standort der heutigen. Pfarrkirche, zierte. Diese Kirche wurde wegen Baufälligkeit Mitte des 18. Jahrhunderts abgerissen. Die Muttergottesfigur wurde wahrscheinlich bei der Säkularisation von dem damaligen Besitzer_ des Hauses Steuerstraße 10 (heute Fritz Dickescheid). erworben und über dem Hoftor angebracht.

Der Verkauf der Dromersheimer Madonna

Um 1910 war Heinrich Josef Dickescheid der Besitzer des Anwesens. Er hatte wohl den hohen Wert dieses Kunstwerkes nicht erkannt. Er überließ 19044 die Statue einem Käufer, der vermutlich ein Strohmann eines geschäftstüchtigen Interessenten war. Für 500,-- Goldmark und einer neuen Muttergottes Statue ließ sich der Eigentümer zum Verkauf verführen. Nach anderen Berichten waren es 1.300,-- Mark.

Die Statue wurde in eine Kiste verpackt und Heinrich Josef Dickescheid brachte sie selbst zur Bahn. Als er dafür ein Goldstück (ca. 20 Mark) erhielt, war er sehr überrascht. Zu Hause sagte er, ich glaube wir haben einen großen Fehler gemacht.

Wahrscheinlich veräußerte der Käufer die Statue für 5.000,-- Mark und schließlich landete sie im Jahre 1907 zum Preis von 30.000,-- Mark in Berlin. Später sollen von einem anderen Museum 50.000,-- RM geboten worden sein. Unter der Inventarnummer 3118 wurde. „Die schöne Dromersheimerin" im Berliner Kaiser Friedrich Museum unter dem Namen „Madonna mit dem Kinde auf der Mondsichel" ausgestellt. Im 2. Weltkrieg wurde sie mit vielen anderen Ausstellungsstücken in einem Bunker untergebracht, der während des Krieges durch Bomben zerstört wurde. Seitdem fehlt von der Madonna jede Spur.

Die letzten Dromersheimer, die ihre Heimatmadonna zu Gesicht bekamen, waren Prof. Dr. Peter Tischleder und Pfarrer Lorenz Dickescheid, die, als sie in Berlin waren, der Dromersheimer Muttergottes einen Besuch abstatteten.

Reproduktion

Im Jahre 1956 fand in Dromersheim die 1200 Jahrfeier statt. Aus diesem Anlass wurde der Bildhauer Adam Winter beauftragt, anhand von Fotos eine Reproduktion der Dromersheimer Madonna zu schaffen. Die Kosten in Höhe von 1.200,-- DM wurden von der Spar- und Darlehnskasse Dromersheim übernommen. Die Reproduktion befindet sich noch heute in der Pfarrkirche von Dromersheim.

Der Künstler Adam Winter

Der Bildhauer und Keramiker Adam Winter wurde 1903 in Darmstadt geboren. In Würzburg und München erhielt er eine Ausbildung als Holz und Steinbildhauer. Eher durch Zufall wechselte er zur Keramik, seinem nun bevorzugten Material.
Als freischaffender Künstler erhielt er 1927 den Auftrag, für eine Ausstellung über mittelrheinische Kunst, die Hallgartener Madonna zu restaurieren oder zu kopieren. Dazu entwarf er eine vielteilige Keilform um diese Figur nachzubilden. Er experimentierte mit einem selbst gefertigten Ofen. Nach mehreren Fehlschlägen gelang es ihm, ihn so zu konstruieren, dass er über Stunden auf kleiner Flamme gehalten und dann erst kontinuierlich auf etwa 960 Grad hochgeheizt wurde. Damals entdeckte Winter, seine Begeisterung für Ton und testete über Jahre dieses Material. Im Jahre 1932 wurde Adam Winter als Dozent an die damalige Mainzer Kunstschule berufen.

Er siedelte nach Mainz-Kastei über. Sein Atelier befand sich in Mainz in der so genannten Golden-RossKaserne, dem heutigen Landesmuseum. Hier richtete er eine Klasse für Keramik-Bildhauer ein. Doch schon nach einem Jahr, 1933, wurde er als politisch nicht zuverlässig entlassen. Einer der Gründe dafür lag sicher darin, dass er viele sakrale Kunstwerke geschaffen hat.

Am 22. November 1978, zwei Tage vor seinem 75. Geburtstag, starb Adam Winter plötzlich an Herzversagen. Auf dem Darmstädter Waldfriedhof fand er seine letzte Ruhestätte.

Adam Winters künstlerisches Schaffen war von einer tiefen Frömmigkeit ebenso bestimmt wie von den jeweiligen Gegebenheiten und von seinem Tonmaterial. Der Künstler war in besonderer Weise der Erde verbunden, so, als sei sein Vorname Adam (hebräisch: der aus Erde) für ihn eine Verpflichtung.

Quellennachweis:
  Hartmann, Thomas Anno Dazumal
Heinz, Agnes persönliche Aufzeichnungen
Gebr. Müller Chronik von Dromersheim Strickstrock, Jürgen Sein Name war sein Programm
Winters, Adam Vergleichende Gedanken zur Mutter Gottes von Dromersheim

zurück