www.bingen.de

Die Alte Chronik von 1956

in der Chornik mit Stichwörtern suchen

Die Straßen

Die Namen der Straßen verdanken ihren Ursprung nicht der Laune oder der Willkür, sondern einem, wenn auch nicht immer mehr erkennbaren Gegenständlichen, einer Verbindung im weitesten Sinn, einer Zweckbestimmung und dergl. Sie sind daher als historisch gewordenes altes Sprachgut, das wir aus Ehrfurcht vor der Geschichte, soweit irgend möglich, erhalten sollen. Es wäre ein Fehler, sie aus Unkenntnis der Vergangenheit oder einer gewissen Neuerungssucht ihres ursprünglichen Inhaltes zu berauben und sie durch fragwürdige und oft auch belanglose Namen zu ersetzen. Leider wird darin im Ubereifer oft gefehlt.

Bei unserer Betrachtung der Straßen von Dromersheim gehen wir aus von dem alten Kern des Dorfes, der innerhalb des ringförmigen Dorfgrabens lag, der von einem dichten Bestand von Rüstern umsäumt war. Vor rund 130 Jahren lag außerhalb dieses Kreises außer der Ziegelhütte, kein Haus.

Das alte Dromersheim hatte drei Hauptstraßen, die zu den drei Toren führten: die Langgasse, die Steigergasse und die Untergasse. Sie teilten sich an dem freien Platze, wo sich heute die Ortswaage befindet. Die vier Nebenstraßen sind: Dalbus-, Pfarr-, Schmitt- und Dietengasse. Außer der Pfarrgasse besitzen alle Straßen Seitengäßchen, die mit den Nebenstraßen die mittelalterlichen ?Gemeine Freiwege" waren, weil sie für den Verkehr in die Gemarkung frei und offen gehalten werden mussten. Die übrigen Straßen sind neueren Datums der letzten 50?130 Jahre, die durch die Ausdehnung des Dorfes über seinen ursprünglichen Rahmen hinaus entstanden. Die nun folgende Erklärung der Straßennamen legt die Volksmundform, d. h. die lebende Sprache zugrunde, die von der amtlichen Benennung, die nicht immer glücklich gewählt ist, teilweise abweicht:

  1. Die Langgasse (amtlich Hauptstraße). Sie war die längste und hieß die Obergasse. Sie durchzieht das Dorf durchmesserartig, wodurch es in eine obere (östliche) und eine untere (westliche) Hälfte geteilt wird. Nach Aspisheim zu war sie bis 1844 am Graben durch die Scheuer und das Kelterhaus des Sebastian Dickescheid III, heute Aspisheimer Straße Nr. 97 im Besitz von Martin Hoff, und das Wohnhaus des Michael Fleck quer verschlossen, war also eine Sackgasse. Der Weg nach Aspisheim führte durch die Steigerpforte und den Steigerweg. Erst beim Bau der Straße nach Aspisheim?Wörrstadt in obengenanntem Jahr wurden diese Hindernisse einschließlich eines Brunnens an der Ecke des Hauses Dickescheid nach schwierigen Verhandlungen mit den beiden Besitzern niedergelegt, die dafür durch Gelände auf dem Graben entschädigt wurden. Der freie Platz an der Ortswaage war der mittelalterliche Dorfmittelpunkt, wo sich das politische Leben abspielte. Hier versammelte sich ?die ganze Gemein", um Bekanntmachungen, Verordnungen, Befehle usw. entgegenzunehmen; hier waltete der Hammerschläger bei Versteigerungen und Verpachtungen seines Amtes, und hier drehten sich beim Volksfeste ? vielleicht unter feiner alten Linde ? die Paare zum Tanze. Wo anders wird auch der ?Stock und Block" gewesen sein, an dem Übeltäter zur Sühne öffentlich zur Schau standen.
       
     
  2. Das Ölgäßchen. Es ist eine Seitenstraße der Langgasse und besaß in ihrem unteren Ende rechts eine Ölmühle, die wahrscheinlich mit dem benachbarten Hofe des Stephansstiftes die ehemalige Schmiede Mauer, in Verbindung stand,
     
     
  3. Die Stargasse = Steigergasse (amtlich Steuerstraße). Sie führte ansteigend zur ?Steigerpforte" (1675 ff.) und durch diese zum ?Starweg" = Steigerweg, der bis hinaus zum Berg diesen Namen trägt. Die Urkunden weisen folgende Schreibweisen auf: 1739 ff. Steigergaß, Steiengaß, Steiergaß, Steiersgaß, Steinergaß, Steinersgaß, 1761 Steigersgaß, 1788 ff. Steigergaß - der ?Starweg", 1577 Steygerwegh, 1667 Steyerweg, 1700 Steigerweg, 1755 Steyersweg. Der Name leitet sich unzweifelhaft von ?steigen" ab. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde er fälschlich in ?Steuergasse" umgemodelt, vermutlich weil der alte Name zu banal und nicht ?vornehm" genug klang. Vielleicht trägt auch die Schuld daran ein Katasterbeamter oder Geometer, der ihr aus Unkenntnis diesen Namen gab.
     
  4. Die Zanggasse (amtl. Steuernebenstraße). Sie ist eine Seitengasse der Steigerstraße mit einem Verbindungspfad zur Oberen Grabenstraße. Für ihren Namen läßt sich kein historischer Beweis erbringen. Vielleicht könnte man daran denken, daß sie sich mit ihrem Verbindungspfad zangenartig um einen Häuserblock legt. Eine Erklärung als ?Zankgasse" beruht auf einer scherzhaften Uberlieferung.
     
  5. Die Untergasse. 1620 wird sie auch ?Niedergaß" genannt. Sie führte abfallend zur Unterpforte und stellt die Verbindung her nach Sponsheim, Grolsheim, Gensingen und Horrweiler. Vor dem Bau der Landstraße von Ockenheim nach Gensingen um 1840 zweigte rechts vom Horrweiler Weg der ?Gensinger Pfad" ab, der durch die Gewann ?Hinter den Wiesen" und ?Gemerschel" in Richtung Gensingen führte. Im Jahre 1859 wurde er, weil entbehrlich geworden, an die Anlieger unentgeltlich abgetreten.
     
  6. Das Antoniusgäßchen. Es ist das obere Seitengäßchen der Untergasse und war ein sogenannter ?Gemeine Freiweg". Eine geschichtliche Erklärung (Personennamen, Bildstock oder ähnliches) läßt sich nicht finden.
     
  7. Im Gäßchen. Die untere Seitenstraße der Untergasse ist namenlos. Sie war ebenfalls ein ?Gemeiner Freiweg". ? Da auch Dromersheim im Jahre 983 unter Erzbischof Willigis zu Kurmainz kam, wäre der Name ?Willigisgasse" nicht unangebracht.
     
  8. Die Dalbusgasse. 1699 heißt sie Dalbusgasse. Im Jahre 1785 lesen wir auch Albanusgasse, was wohl mit den Beziehnugen zu dem ?hochadligen Ritterstift zu S. Alban" in Mainz zusammenhängt, dem die Gemeinde i. J. 1769 pensionspflichtig war. Durch sie floß der aus dem Baffert kommende Hungerbach. Der Name ist sicher uralt und geht auf einen Personennamen oder eine alte Herrschaft zurück. 1553 gab .es in Dromersheim eine Familie namens Dalben, Dalban. Mehrfach genannt werden auch Dalbus Weydenkopfs Erben von Bingen. Ein Zusammenhang mit diesen Namen ist möglich, jedoch nicht nachweisbar.
     


Fränkische Hofanlage in der Untergasse (1685)

  1. Die Pfarrgasse. In ihr liegt das 1712?1714 erbaute und 1953 verkaufte alte Pfarrhaus. Bis zum Bau der heutigen Kirche, 1776, hieß sie ?Kirchgasse", weil an ihrem oberen Ende die alte niedergelegte Petruskirche stand.
     
  2. Die Schmiedgasse (Schmittstraße). In ihr war ?die Gemeindeschmiede unter dem Rathaus" (1667 und 1762). Im Jahre 1742 heißt es: ?Ein Rathaus mit der Schmied". Das alte Rathaus ist heute im Besitz von Frau Sebastian Fleck Ww., Haus Langgasse Nr. 191.
     
  3. Die Dietengasse. Auch sie ist wie die Dalbusgasse uralt und einer Erklärung ihres Namens nicht mehr zugänglich, obwohl auch dieser auf einen Personennamen zurückgehen muß. In ihr hatten im Jahre 1562 Hans von Geddern und Hans von Bockenheim ?Haus, Hof und Zugehör". In ihrem unteren Ende mündete sie in das Burggelände, in dem sich auch das sogenannte ?Weiße Nonnenkloster" befand. Von der Dalbusgasse kommend, wurde sie vom Hungerbach durchflössen, der noch bis zum Jahre 1884 in einem breiten, tiefen Flutgraben am unteren Ende erkenntlich war. In diesem Jahr wurde durch Ankauf von Gelände von den angrenzenden Grund-besitzern die verlängerte Dietengasse neben dem Flutgraben in einer Breite von sechs Metern bis zur Unteren Grabenstraße hergerichtet.
     
  4. Der Reil ist das schmale Verbindungsgäßchen zwischen unterer Dietengasse und Schmiedgasse, in dem das Wasser abfließt. Reil ? bedeutet Rinne, Wasserablauf. Manche leiten das Wort auch ab von ruelle (frz.), d. h. Gäßchen.
     
  5. Die Stephansgasse. Sie führt von der Dietengasse hinauf zum ?Stephansberg" (1786) in die Neugasse. Früher war sie auch ein ?Gemeiner Freiweg", der über den Graben führte. In ihr hatte das Stephansstift in Mainz, das der Patronatsherr von Dromersheim war, einen Fronhof.
     
  6. Der Kästrich (amtl. Obere Grabenstraße). Er gehört wie alle folgenden zu den neueren Straßen und ist erst im 19. Jahrhundert auf dem alten Grabengelände entstanden. Im Volksmund heißt diese Straße ?Kästrich" (von Castrum = Burg), vielleicht in Angleichung an den hochgelegenen ?Kästrich" in Mainz.
     
  7. Die Untere Grabenstraße. Sie verläuft ebenfalls auf dem ehemaligen Dorfgraben.
     
  8. Die Neugasse (amtl. Untere Grabenstraße). Sie ist die Fortsetzung der Unteren Grabenstraße und folgt ebenfalls dem alten Dorfgraben bis zur Binger Straße. Ihr Name weist auf ihren neueren Ursprung hin.
     
  9. Die Binger Straße führt nach Bingen-Büdesheim;
     
  10. Die Aspisheimer Straße nach Aspisheim.
     
  11. Die Schulstraße. In ihr befindet sich seit 1878 die neue Schule. Amtlich heißt sie Bleichstraße, weil sie an ihrem unteren Ende auf die ehemalige Bleiche stößt. Weit gebräuchlicher aber ist ihr Name als Schulgasse.
     
  12. Der Stauch. In ihm befindet sich außer dem Eckhaus an der Aspisheimer Straße noch kein Haus. Mit dem Namen ?Stauch" bezeichnete man früher die Stelle, wo der Hanf, der auch in Dromersheim viel angepflanzt wurde, geröstet und gedörrt wurde.
     
  13. Die Heckengasse (im sog. Dritten Reich führte sie amtlich den Namen ?Horst-Wessel- Straße"). Sie entstand an der Stelle der Hecken auf dem Außenrand des Dorfgrabens. Ihr Name ist heute nicht mehr beliebt. Es wurde schon der Vorschlag gemacht, sie in ?Kettelerstraße" umzubenennen, weil dieser große Mainzer Bischof oft und gern in Dromersheim geweilt hat.
     
  14. Der Kühweg (amtl. Bergstraße). Auf ihm trieb einst der Hirte das Vieh zur Weide in die Proff und auf den Berg, wo sich das Gemeindefeld (die Allmende) befand. Amtlich hieß sie auch eine kurze Zeit ?Zur Kuhweide", was sich aber nicht einbürgerte.
     
  15. Die Maus (amtl. Ockenheimer Straße). Sie ist die abgekürzte Verbindung nach Ockenheim und führt in die Flur ?Maus", die sich beiderseits der Ockenheimer Landstraße befand. Nach Altenkirch ist bei diesem Namen an das Tier zu denken.
     
  16. Die Schlackengasse (amtl. Bingernebenstraße, zuvor kurze Zeit ?Hindenburgstraße"). Sie ist die jüngste der Straßen. In ihr wurden 1906 die ersten Häuser gebaut. Bis dahin war sie ein Weg, in dem allerlei Schlacken und Schutt abgeladen wurde. Jetzt ist sie chaussiert und könnte im Hinblick auf unsere Jubelfeier den ehrenvollen Namen ?Eggioltstraße" erhalten.

Im Mittelalter waren die Straßen ungepflastert. Das erste Pflaster aus Wacken dürfte die Langgasse erhalten haben. 1764 wurde sie (?unsere gemeine Gaß") vom Rathaus bis ans obere Tor aufs neue gepflastert (63 Ruten zu je 1 Gulden 20 Kreuzer, tut 84 Gulden 40 Kreuzer). Die Arbeiten wurden ausgeführt von den beiden Pflastermeistern Konrad und Martin Geliert aus Rockenhausen, wobei die Gemeinde alle Fron dazu hat tun müssen. Ihr Geld ist den Meistern ?bar bezahlt worden, und weil sie des Schreibens unerfahren, haben sie ihr Beizeichen gemacht + + ". Nach dem Bau der Landstraße, 1844, der die Beseitigung von mehreren Hindernissen in der Ortsdurchfahrt notwendig gemacht hatte, wurde sie im Frühjahr 1846 abermals gepflastert, und zwar mit gerichteten Steinen, mit Ausnahme des Außenrandes der Gossen bis zu den Häusern. Hier sehen wir heute noch das alte Wackenpflaster. Folgende Hindernisse waren beseitigt worden: Ein Teil der Kirchhofsmauer wurde eingerückt, die Treppe in die Kirche verlegt, die Treppe am Tor eingerückt, der Brunnen in der Obergasse (Haus Nr. 29) mehr neben angelegt und zugewölbt, die Wied am Hause Fritz Dickescheid Ww., die die halbe Straßenbreite einnahm, in die Untergasse verlegt und der Abfluß nach Aspisheim geöffnet. Ihr heutiges Aussehen mit blau-schwarzen Basaltsteinen von der Kirche bis über die Mulde der Untergasse, wo sich eine Brücke befand, erhielt sie im Jahre 1892 (Kosten 7025,16 Mark). Das sehr schadhafte alte Pflaster wurde teilweise zur Stückung des Weges zur Ziegelhütte und zum Pfade vor derselben verwandt. Bei der Um- pflasterung im Jahre 1846 blieb eine Menge Material übrig, wovon 1847 die Dieten- gasse umgepflastert wurde. Weiter wurden gepflastert: 1860 die ?Hintere Grabengasse" (= Neugasse) und der untere Teil der Untergasse von der ehemaligen Wied (untere Pforte) bis zum Landgrabenweg, 1865 die Dalbus- oder Albanusgasse, 1866 die Schmiedgasse, 1871 die Bleichstraße sowie der obere Teil der Steigergasse von der einstigen Steigerpforte bis zum Ende des Hauses des Lehrers Philipp Weber, der sich erboten hatte, zwanzig Gulden dafür zu leisten. Bis 1878 wurden Antonius-, Unter-, Neben- und Zanggasse sowie die Obere Grabenstraße chaussiert. Mit gerichteten Porphyrsteinen wurden gepflastert: 1901 die Maus, 1910 die Steigergasse und 1925/26 die Untergasse, wodurch in den beiden letzteren das Wackenpflaster verschwand. Eine erstmalige Beleuchtung durch 17 Petroleumlampen erhielten die Straßen im Jahre 1884. Am 19 .Dezember brannten sie zum ersten Male zur Freude der Einwohner für die kommenden Weihnachtsfesttage. 1892 waren es 20 Lampen. Die Laternen waren in beträchtlicher Höhe an den Häusern, zumeist an oder gegenüber den Straßeneingängen befestigt und wurden mittels langen Leitern von den beiden Nachtwächtern bedient. Die im Jahre 1913 eingeführte elektrische Beleuchtung löste die alten Veteranen ab. Bevor es in den Straßen von Dromersheim helle und damit die öffentliche Sicherheit mehr gewährleistet war, hatten die Nachtwächter durch einen vorgeschriebenen Rundgang durch das Dorf stündlich an 13 Stationen (1878) zu blasen und zu singen. Von Herbstanfang bis Ende Februar begann das Blasen um 21 Uhr und endete um 4 Uhr, in der übrigen Zeit von 22 Uhr bis 3 Uhr. Von Mai bis August waren sie um 2 Uhr fertig. Zu blasen war: 1. Ecke obere Steigergasse ? obere Schulstraße (Haus Geschw. Weber), 2. Ecke Untere Schulstraße?Aspisheimer Straße, 3. Langgasse?Eingang zur Untergasse (?An der Brücke"), 4. am Eichhäuschen, 5. am Ende der Unteren Grabenstraße (Nr. 246, heute Julius Scharf Ehefrau), 6. Ecke Neugasse?Stephanstraße, 7. Binger Straße (Haus Tischleder), 8. am Gäßchen zum Katharinenhof, 9. Langgasse ? Ecke Dalbusgasse, 10. in der Mitte der oberen Dietengasse (Haus Jakob Fleck III), 11. Gang durch den Reil ? am oberen Ende der Schmiedgasse, 12. Steigergasse?Eingang zur Zanggasse, 13. Gang durch den Reil am Ende der Zanggasse ? in der Mitte der oberen Grabengasse. Die nicht beneidenswerten Nachtwächter, die auch noch den Polizeidienst zu versehen hatten, erhielten für ihren aufreibenden Dienst im Jahr (1872) je 45 Gulden = rund 77 Mark.

Partie in der Langgasse (jetzt Hauptstraße)

       
Inhaltsverzeichnis
Quellen:
Müller: Chronik von Dromersheim

zurück