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Die Alte Chronik von 1956

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Erster Teil: Die Geschichte von Dromersheim

Die erste Urkunde

Vom 9. bis 11. Juni 1956 feierte Dromersheim das Jubiläum seiner ersten urkundlichen Erwähnung vor 1200 Jahren. In edlem Wetteifer hat die ganze Gemeinde dazu beigetragen, ein Fest echt dörflichen Charakters zu gestalten, das im Rahmen verschiedener Veranstaltungen einen kulturellen Höhepunkt in der Geschichte unseres Dorfes bildet. In seinem Kern und Inhalt unterschied es sich von so manchen Veranstaltungen, die oft nur an der Oberfläche haften und in der Erinnerung nur einen faden Nachgeschmack hinterlassen. Diese Jubelfeier rief zur Besinnung, sie ging in die Tiefe der Geschichte und ließ in ihrer ganzen Spannweite das wechselvolle Geschick unseres Dorfes in seinem Auf und Ab an uns vorüberziehen, gleich dem Wellenschlag eines dahinfließenden Stromes, manchmal ruhig plätschernd, manchmal vom Winde gekräuselt, manchmal vom Sturme gepeitscht und aufgewühlt wie gischtende Brandung an stürmischer Küste. Geschlechter kamen und Geschlechter gingen im natürlichen Takte und Rhythmus der Zeit, und die einen reichten den andern die Hände. Der 15. Juni des Jahres 754, an dem das erste Blatt unserer geschriebenen Dorfgeschichte hinterlegt wurde, ist ein denkwürdiger Tag ersten Ranges. Der Mann, der diese Ruhmestat für sich in Anspruch nehmen kann, ist der Edling Eggiolt von Worms. Mit seiner Urkunde hat er, ohne zu ahnen oder zu wissen, unserem alten Dorfe Truhtmaresheim, wie es in der Urkunde genannt ist, einen unvergänglichen Dienst erwiesen, Womit sein Name für immer mit unserem Orte verbunden bleibt. Seine edle Tat geschah unmittelbar nach dem Todestage des heiligen Bonifatius (5. Juni 754), der im Jahre 744 durch den Bayern Sturmius das Kloster Fulda begründen ließ. In Germanien regierte damals Pippin der Jüngere (741 768, ab 751 als König), der der Sage nach auch Pippin der Kleine oder Kurze genannt wird. Er war der Vater Karls des Großen (768 814), und das Gebiet des Rheines war das Herzstück seines Reiches. Die Urkunde, die Eggiolt mit den Vertretern des Klosters Fulda herstellen ließ, hat folgenden Wortlaut:

In nomine patris et filii et spiritus sancti.
Licet parva et exigua sunt, quae pro immensis peccatis et debetis offero, tarnen pius dominus noster Iesus Christus non quantitatem muneris perspicit sed devotionem offerentis.
Ideoque ego Eggioltus sana mente sanoque consilio pro malis peccatis meis, ut in futuro veniam aliquam promerire merear, dono pro remedium animae fratris mei Hiltuuini ad monasterium sancti Bonifatii, quod constructum est in pago Grapfeld super fluvium Fulda, in pago Uuormacinse in villa Truhtmaresheim here- ditatem meam, quam mihi pater meus moriens et fratres mei dereliquerunt, id est domibus, aedificiis, ecclesia I, accolabus, mansis, casis, terris, araturiis, campis, vineis, pratis, pascuis, aquis aquarumque decursibus, cultum seu incultum, mobilibus et immobilibus omnia, quae ibidem visus fui habere, excepto I vinea et mancipia his nominibus: Altoiah, Adalhilt, Geruuig et Berahttraht, Adalhart, Gotahart, Uuolfram, Fridulf, Hiltiram, Uuillileih, Otger, Ratilo, Ratolt.
Et simili modo dono silvae portionem nostram in loco, qui dicitur in pago Nafinsie ad Bibaraha, totum et integrum a die presente ad predicto monasterio iam dictam rem habeatis, teneatis possideatis vel quicquid exinde facere volueritis, liberam ac firmis- simam in omnibus habeatis potestatem.
Si quis vero, quod futurem esse non credo si ego ipse aut aliquis de heredibus meis seu quislibet ulla opposita extranea persona, qui contra hanc donationem venire aut eam inrumpere voluerit, inprimitus iram dei omnipotentis et trinae maiestatis incurrant et ab omni loca sanctorum excommunis appareat, insuper solventem ad predicto monasterio auri uncias V, argenti pondera X et quod repetit evindicare non valeat, sed presens donatio hec omni tempore firma et stabilis permaneat, stipulatione subnixa. Facta donatio hec sub die XV. iunii anno III. regni domini nostri Pippini regis Fran- corum.
Ego Uuolframnus e manuensis rogatus scripsi et notavi diem et tempus quo supra.

Signum — Eggioltus, qui hanc donationis cartam fieri rogavit.
— Hatto com(es). — Folcbraht. — Adalpraht. — Uuillipraht.
— Otachar. — Grimbert. — Hluduuin. — Hadupraht.
— Gerolt. — Uualuram. — Flanbert.

Übersetzung:
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Mag im Verhältnis zu meinen zahllosen Sünden und Fehlern die Gabe auch klein und gering sein, die ich opfere, so schautdoch unser lieber Herr Jesus Christus nicht auf die Größe der Gabe, sondern auf die Gesinnung des Gebers. Daher schenke ich, Eggiolt, bei klarem Bewußtsein und nach reiflicher Uberlegung zum Seelenheil meines Bruders Hiltwin und auf daß ich selbst einmal für meine schweren Sünden Verzeihung erlange, dem Kloster des heiligen Bonifatius im Grapfeldgau an der Fulda meinen Erbteil in Truhtmaresheim im Wormsgau, das mir mein sterbender Vater und meine Brüder hinterlassen haben, nämlich die Kirche mit allen Gebäulichkeiten, Häuser, Herbergen, Hütten, Ländereien, Äcker, Felder, Weinberge, Wiesen, Weiden, Gewässer und Rinnsale, Bebautes und Unbebautes, Mobilien und Immobilien, kurz alle sichtbare Habe daselbst mit Ausnahme eines Weinberges und der Hörigen mit folgenden Namen: Altolah, Adalhilt, Gerwig und Berahtraht, Adalhart, Gotahart, Wolfram, Fridulf, Hiltiram, Willileih, Otger, Ratilo. Desgleichen schenke ich obigem Kloster ab heute ganz und ungeteilt unseren Anteil des Waldes im Gau Nafinsie bei Bieberahu (Biebern Kreis Simmern). Das aufgezählte Erbteil sollt Ihr nun zu Eigen und Besitz haben oder was auch immer Ihr damit machen wollt, frei und sicherzuallem ermächtigt sein.Wenn aber jemand, was wie ich nicht glaube, daß es der Fall sein wird, wenn ich selbst oder sonst jemand von meinen Erben oder irgend ein fremderWiderpart gegen diese Schenkung opponieren oder sie gar untergraben möchte, so soll er sich dafür sogleich den Zorn des Allmächtigen Gottes und Seiner Dreifaltigen Majestät zuziehen und von allen Heiligtümern ausgeschlossen sein, sowie obigem Kloster fünf Unzen Gold und zehn Pfund Silber zahlen. Der Wiederholungsfall aber läßt keinen Loskauf zu. So sei denn diese vorliegende Schenkung für alle Zeiten ungeschmälert und von sicherer und bleibender Dauer.
Diese Schenkung ist vollzogen worden am 15. Juni, im dritten Regierungsjahr Pippins, unseres Gebieters und Königs der Franken. Ich, Wolfram, habe dies geschrieben und obiges Datum notiert.

Eggiolt, der diese Schenkungsurkunde hat herstellen lassen.
Hatto, Graf. Folcbraht Adalpraht Willipraht Ottchar Grimbert Hludwin Hadupraht Gerolt Waluram Flanbert,

Die Eggioltische Schenkungsurkunde erschließt für unseren Heimatort der damaligen Zeit mancherlei Wissenswertes — in kirchlicher, kultureller und agrargeschichtlicher Hinsicht, worauf nur kurz hingewiesen sei. Dromersheim war eine, wenn auch noch sehr kleine christliche Gemeinde, die wohl schon über 200 Jahre bestand. Aber auch in der Römerzeit hatte das Christentum in unserer Gegend schon Fuß gefaßt, wie später noch gezeigt wird. Die Kirche, von der in der Urkunde die Rede ist, war eine sogenannte Eigenkirche, die ein Grundherr auf seinem Besitztum errichtet hatte und bei einem Besitzwechsel mit allen Gerechtsamen auf den Nachfolger überging. Der Grundherr setzte auch den Geistlichen ein und besoldete ihn. Eindeutig sind auch die Beweggründe herausgestellt, die Eggiolt zu seiner Schenkung veranlassten. Es sind die gleichen, wie wir sie auch heute noch oft bei Schenkungen und Stiftungen gegenüber der Kirche haben.
 
Die altgermanische Verfassung tritt uns in Grundherr und Hörigen, von denen es mehrere Stufen gab, entgegen; die wirtschaftliche Struktur unserer Dorfmark in der Aneinanderreihung der Gemarkungskulturen. Neben Ackerbau und Viehzucht bildete der Weinbau, der bestimmt schon eine bedeutende Rolle spielte, die wirtschaftliche Grundlage der Bewohner. Die Erscheinungsformen der Bewirtschaftung entsprachen in ihrer primitiven Gestalt der damaligen Zeit und haben sich erst durch die Jahrhunderte zur jetzigen organisch entwickelt. Die agrargeschichtlichen Verhältnisse sind aus der Landnahme der Franken unter ihrem König Chlodwig um das Jahr 500 hervorgegangen. Das eroberte Land war Königsland, das unter Edlinge und Vollfreie verteilt wurde. In der Dromersheimer Urmark lag ein königlicher Fronhof (villa) und zwei Nebenhöfe (curtes dominicatae), die später durch Schenkungen oder Erwerb immer mehr aufgesplittert wurden. Das Allod oder freie erbliche Eigentum des Eggiolt im Jahre 754 bestand aus 13 Manzipien (Zinshöfen) und stammte wohl aus einem in Familienbesitz übergegangenen staatlichen Herrenhof mit der Villakirche. Bei der Übergabeurkunde der Waltrata im Jahre 821 ist der stark zusammengeschrumpfte königliche Besitz noch ersichtlich. Er ging 983 bei der Schenkung Otto II. an den Erzbischof Willigis in Mainz über. Der Fuldaer Besitz, zu dem in Dromersheim noch mehrere Schenkungen hinzu gekommen waren, kam später an die Grafen von Dietz und von diesen wieder als Lehen an Werner von Bolanden.

       
Inhaltsverzeichnis
Quellen:
Müller: Chronik von Dromersheim

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