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Die Alte Chronik von 1956

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Kulturveränderungen in Dromersheim in den letzten 70 bis 80 Jahren

Um die Jahrhundertwende hat sich, infolge der Erfindungen und des technischen Fortschritts, ein gewaltiger Umschwung in den Kulturverhältnissen auf dem Lande vollzogen, der sich in rascher Folge in allen Zweigen des Wirtschaftslebens ausbreitete. Die motorische Kraft verdrängte das beschauliche und beseelte Leben des Landmannes, sie machte ihn zum Diener der Maschine, deren Tempo und Gesetzen er zu gehorchen hat. Der aufgeschlossene Bauer hat sich dem Vorwärtsdrängen der Entwicklung, die ihm seine Arbeitsverhältnisse erleichterte, nicht verschlossen, sondern sich die neuen Erfindungen dienstbar gemacht, soweit es ihm seine finanziellen Mittel erlaubten. Wenn wir bedenken, wie schwer des Landmanns Arbeit ist, so können wir das nur begrüßen, wenngleich wir auch bedauern, daß dadurch, infolge einer seelischen Strukturveränderung, manch altes Brauchtum als unvermeidliche Folge zu Grabe gegangen ist. Die ältere Generation ist sich dessen noch bewußt, denn es ist ihr ein Stück Jugend und Heimat, und für die jüngere soll es wenigstens in einigen Beispielen hier festgehalten werden.
 
Ein Haupterwerbszweig der Dromersheimer Bevölkerung ist der Weinbau. Der Winzer der alten Schule kennt noch den Spruch seiner Väter: In den Wingert gehört kein Pflug und auf den Acker kein Karst. Die heutige Jugend wird das mitleidig belächeln, weil sie sich in die damalige Zeit nicht mehr hineindenken kann. Die härteste Zeit war die sog. „Gräberei", die, je nach den Witterungsverhältnissen, von Anfang Mai bis Ende Juni dauerte. Oft sah man den fleißigen Winzer schon morgens um 4 Uhr im Weinberg, um ihn in harter und anstrengender Arbeit in großen Schollen umzugraben. Wieviel Schweiß ist da geronnen, und wieviel Maßkrüge Wein mußten den Durst löschen! Später wurde der Weinberg mit dem Karst „gerührt", d. h. die Schollen zerkleinert und auseinandergezogen, und nach der Getreideernte möglicherweise mit der Hacke auch noch „geläutert" (geläutert), d. h. von Gras und Unkraut gesäubert. Wie haben sich die Zeiten geändert! An die Stelle des Grabkarstes und der Haa (Hacke) ist, bis auf das Ausputzen der Stöcke, der Pflug getreten, der die Arbeiten viel schneller und besser besorgt. Schweiß, Durst und Wein sind geblieben, aber auch die Arbeit, wenn auch in anderer Form und Gestalt. Hatte in früherer Zeit der Winzer bei sinkender Abendsonne über den Hunsrückbergen sein schweres Tagewerk im Weinberg vollendet, und kündete von unserem nahen Kirchturm die Glocke den Feierabend, dann setzte er seine Mütze ab und faltete über seinem Karsthelm die Hände zu einem frommen Gebet als Symbol seiner Heimattreue, Heimatliebe und Gottverbundenheit. Ob es auch heute noch so ist? —
 
Das Spritzen der Weinberge kannte man bis kurz vor 1900 überhaupt nicht. Wurde durch die Peronospera das Laub dürr und fiel ab, so nannte man das den „Labrausch" (Laubrausch), woran nichts zu ändern war. Entsprechend war dann auch die Ernte. Wie arm oder mäßig diese bisweilen ausfiel, und wie schwer der Winzerstand, auch infolge der niedrigen Preise, zu kämpfen hatte, davon kann die ältere Generation noch erzählen. Ausgesprochene Mißernten, soweit sie nicht durch Frost, Hagel oder außergewöhnliche Naturereignisse verursacht werden, sind infolge der modernen Bekämpfungsmittel und -methoden Seltenheit geworden.
 
Im Herbst bevölkerte eine große Schar Leser und Leserinnen, besonders aus dem Hunsrück, das Dorf. In froher Stimmung ging es an die Arbeit, die heute, wie so manches aus früherer Zeit, viel nüchterner und poesieloser verläuft als ehedem. Der Winzer hatte eine große Bütte am Weinberg stehen, die mit dem Pflugskarren hinausgefahren worden war. Es gab auch Leute, die sie mit dem „Kitzel" (Tragring) auf dem Kopf hinaustrugen oder von einem Weinberg zum anderen brachten. Die Traubenmühle war noch unbekannt. Die erste hat Karl Mauer (geb. 1824, † 1910) im Jahre 1894 im Dorf eingeführt. Der Legeisträger stellte, wie auch noch heute, seine Legel — anderwärts Butte genannt — in die Zeile mit einem ausgesuchten Weinbergspfahl als Strebe, der von Weinberg zu Weinberg mitging. Die Trauben wurden mit zwei „Mosterkolben", die unten eine birnenförmige Verdickung hatten, in taktgemäßen Schlägen, wobei sich jedesmal die Arme kreuzten, zur Maische zerkleinert. Bis zu einem gewissen Strich oder Nagel hatte man eine Eiche (siehe Münzen, Maße und Preise), für die jedesmal eine Kerbe in den Strebepfahl geschnitten wurde. So konnte man von jedem Weinberg und am Ende der Weinlese den Ertrag der ganzen Ernte mühelos ablesen. Am Abend wurde die Maische mit dem Ladfaß nach Hause gefahren. In der Scheune oder in dem Kelterhaus stand die Kelter mit einem großen, viereckigen hölzernen Bied, auf die die Maische aufgeschüttet wurde. An einem Umbau hing ein schwerer Holzklotz, die „Sau" genannt, die durch eine starke eiserne Schraube von oben her auf die Legehölzer gedrückt wurde. Die Schraube hatte zwei ringförmige Offnungen, in die eine baumstarke Stange (ähnlich einem Wiesbaum) gesteckt wurde, an deren Ende ein dickes, langes Seil befestigt war. Dieses stand in Verbindung mit dem sog. „Dummelbaum", der in einiger Entfernung senkrecht aufgestellt war, unten in der Erde und oben im Scheunengerüst befestigt. Der Dummelbaum war in Brusthöhe mit Löchern versehen zum Einstecken von dicken Brettern (Windlöffeln ähnlich), an denen die menschliche Kraft ansetzte. So wurde der Dummelbaum in eine drehende Bewegung versetzt, wobei sich das Seil aufwickelte und die Stange anzog. Dadurch wurde die Kraft auf die Kelter übertragen und die Maische ausgepreßt. Der Most wurde in hölzernen „Stützen" (heute bestehen sie meist aus Aluminium) ins Faß getragen, denn die Weinpumpe war den Betrieben auf dem Lande damals noch unbekannt.
 
Vom Weinbau führt uns der Weg zum Ackerbau, ohne den man sich heute die Sä-, Mäh- und Dreschmaschine sowie die verschiedenen Spezialpflüge für die Hackfrüchte nicht mehr denken kann. Die meisten dieser Maschinen wurden erst nach der Jahrhundertwende bei uns Allgemeingut. Die alte Methode kommt jetzt nur noch ausnahmsweise in besonders gelagerten Fällen oder bei ausgesprochen ungünstiger Witterung zur Anwendung. Wie schnell hat heute die Sämaschine das Getreide ausgestreut, das vordem der Rüsterpflug Furche um Furche dem Boden anvertraut hat. Wer den mit der Scholle eng verbundenen Landmann noch sah, der mit seinem Säsack mit rüstigem Schritt feldauf, feldab den Samen dem Erdreich übergab und beim letzten kräftigen Wurf sein frommes „Gott walt's" sprach, weiß, welche Seele dem Fortschritt zum Opfer fiel. Ein gesegneter Anfang ließ ihn gläubig und vertrauensvoll auf weiteren Segen von oben hoffen. Im Kleeacker und bei der Getreideernte hat ihm die Mähmaschine die Arbeit erleichtert. Die Sichel, die früher die kaum kniehohe Gerste schnitt, ist längst abgetan, und die Sense tritt nur noch in Erscheinung, wenn man die Mähmaschine nicht anwenden kann. Die Dreschmaschine hat ein etwas höheres Alter. Die erste primitive Art dieser Maschine hatten als Dreschmaschinenbesitzer Gustav Mauer (geb. 1848, † 1906) und Josef Huber (geb. 1852, † 1931) kurz vor 1880 in Dromersheim eingeführt. 1879 ereignete sich an dieser Dreschmaschine ein bedauerlicher Unfall. Sebastian Ockstadt (geb. 8. 7. 1862) verletzte sich so schwer, daß ihm eine Hand abgenommen werden mußte. In Mannheim erhielt er eine Prothese und wanderte mit seinen Eltern und 6 Geschwistern am 6. 3. 1881 nach Amerika aus. Heute erledigt die weiterentwickelte Maschine in wenigen Wochen die Arbeit, für die zuvor der schon von den Römern eingeführte Dreschflegel in mühevoller Arbeit den ganzen Winter über brauchte. Frühmorgens schon erschallte von geübter Hand in der Tenne der rhythmische Zwei-, Drei- oder Viertakt der Drescher, bis am Abend die handbediente Windmühle das Getreide reinigte. Tag um Tag dieselbe Arbeit, derselbe Gleichklang, bis die letzte Garbe ihre Körner hergegeben hatte. Jeder 14. Malter war neben seinem Tagelohn von 20 bis 24 Kreuzern den fleißigen Dreschern, die den endlichen Schluß mit Wurst und Wein feierlich begingen. Mancher Kleinbauer von Dromersheim ging nach Beendigung seines eigenen Drusches auf Tagelohn in größere benachbarte Betriebe, besonders auf die Sporkenheimer Höfe, wo er Arbeit und Verdienst fand, oft bis gegen Fastnacht. Das Nachtessen bestand dort vorwiegend aus „Quellkartoffeln und Schmierkäse" und das Nachtlager meist aus einem Bund Stroh im Viehstall. Nur über Sonntag kehrte er in seine Familie zurück. Trotz dieser heute kaum mehr verstandenen Anspruchslosigkeit und Genügsamkeit war er froh, in der verdienstärmeren Zeit Geld nach Hause bringen zu können, um seine Familie durchzubringen. Auch die Häckselmaschine ist viel jüngeren Datums als viele vielleicht meinen. Sie hielt erst gegen Ende des vorigen Jahrhunderts in Dromersheim ihren Einzug. Zuvor besorgte ihre Arbeit der Strohschneider, der von den Leuten bestellt wurde. Er hatte eine eigens dafür hergerichtete Strohbank, an der vorne ein sensenähnliches Messer befestigt war. Durch einen kräftigen Händedruck schnitt er das Stroh zu Häcksel. In einem Gerichts- Protokoll von 1778 wird der Strohschneider schon genannt. Der Gemeindsmann *1) Daniel Dickescheid hat nachgesucht, für das kommende Jahr als Strohschneider angenommen zu werden. Er erhielt die Arbeit zugesagt, da man „einem Bürger ehender als einem Fremden einen Tagelohn in der Gemeinde zu verdienen geben solle". Seine „Dienstverrichtung soll er treu und fleißig nach dem observanzgemäßen Lohne, des Tages 16 Kreuzer nebst der Kost, versehen".

*1) Gemeindsleute oder Bürger hatten gewisse Rechte und Pflichten. Zu ihnen gehörten die Bauern. Die Bauleute oder Beisassen, auch Beisitzer genannt, wohnten (saßen) auf dem Eigentum der Bauern. Es waren meist die Zugezogenen. Sie durften Gewerbe treiben, hatten aber kein Bürgerrecht und nur wenig Pflichten.
 
Eine beschauliche Arbeit an den langen Winterabenden war das Nußkernen. Die Dromersheimer Gemarkung zählte an die tausend Nußbäume, die besonders die Landstraßen beschatteten und die Wege säumten. Sie brachten den Bauern manches Stück Geld ins Haus und füllten die Krüge und Kannen mit feinem öl. Im Scheine von Petroleumlampen versammelten sich am Abend um einen großen Tisch die Familie, Nachbarschaft und gute Bekannte, um die tagsüber aufgeklopften Nüsse zu entkernen. Unterhaltungen und lustige Neckereien zwischen Burschen und Mädchen verkürzten die Zeit, und das Glas machte freigebig die Runde. Maltersäcke voll Nußkerne wurden oft dem alten Lukas in seine Mühle im ölgäßchen gebracht, um sie zu schlagen und die Gefäße zu füllen. Die Ölkuchen gaben ein gutes Viehfutter ab und wurden auch von Kinjdern nicht verschmäht. Die Zeit ist vorüber. Man hat im allgemeinen heute nur noch Nüsse für das Christkind an Weihnachten und zum „Nußgebackenen", und das ausländische Olivenöl dünkt manchem Bauern gleich dem feinen Stadtvolk heute wohlschmeckender als Nußöl. Als man Gewehrkolben brauchte für den Krieg, da wurde ein großer Teil der Nußbäume der Dromersheimer Gemarkung in klingende Münze umgesetzt. Die Feldbereinigung hat noch ihr übriges getan bis auf einen geringen Rest. Man hat die Bäume zuvor gefällt, da für sie eine nicht ihrem eigentlichen Werte entsprechende Entschädigung angesetzt wurde. Erfreulicherweise aber erinnern sich viele Dromersheimer Bauern wieder ihrer alten Tradition und pflanzen junge Bäumchen an. Es ist nur zu bedauern, daß aus Mißgunst oder Angst vor größerem Schaden manches mit Fleiß gehegte Bäumchen von gewissenloser Hand wieder zerstört oder abgebrochen wird. Wenn in folgendem die Rede sein soll vom Waschen in früherer Zeit, so fällt uns unwillkürlich Chamissos feinsinniges Gedicht „Die alte Waschfrau" ein, in welchem der Dichter dieser „rüstigsten der Wäscherinnen" ein unsterbliches Denkmal gesetzt hat. Wer denkt aber daran, daß auch unsere Groß- und Urgroßmütter noch wie sie „mit treuem Fleiß" an der Waschbütte standen, um ihre schwere Arbeit zu verrichten. Einer alten Frau, die noch im letzten Jahrzehnt des vergangenen Jahrhunderts nach altem Brauch und überkommener Sitte die „große Wäsche" hielt, sei's nacherzählt, um der Jugend von heute einen Begriff zu geben von dem Fleiß, aber auch von dem berechtigten und zufriedenen Stolz ihrer Ahnen nach vollendeter Arbeit.
 
Nur zweimal im Jahre wurde gewaschen: im Frühjahr — etwa März — und im Spätjahr — meist nach dem Herbst. Die Arbeit gestaltete sich zu einem Sechstagewerk, das gewöhnlich mit Beginn der Woche seinen Anfang nahm, und gliederte sich den Wochentagen nach in folgende Tätigkeiten: 1. einweichen, 2. einseifen, 3. bauchen, 4. waschen, 5. bleichen, 6. trocknen. Am ersten Tage wurde die Wäsche in der großen Waschbütte in Brunnenwasser eingeweicht; am zweiten mit Schmierseife eingebürstet und wieder in die Bütte ohne Wasser gelegt. Nun breitete man am dritten Tag über Wäsche und Bütte ein großes Tuch aus und schüttete darauf ein Viernsel voll Holzasche. Bei weniger Wäsche genügten 1—2 Kumpf (1 Kumpf = 1/4 Viernsel). Die Holzasche hatte man sich selbst angesammelt oder beim Aschenhändler Johann Georg Weil aus Dromersheim gekauft. Darüber goß man nun Regenwasser und erhielt so eine gute Brühe, die Lauge, die eine braune Farbe hatte, aber nicht schmutzig war. Die auf Legehölzern oder einem massiven Waschbock stehende Bütte hatte nahe am Boden einen Kran, an dem die Lauge abgelassen, im Kessel gekocht und wieder über die Wäsche gegossen wurde. Das Abzapfen, Kochen und übergießen geschah siebenmal, damit die Lauge ihre Schärfe verlor. Wer eine empfindliche Haut hatte, konnte trotzdem noch Verletzungen an den Händen davontragen. Die Arbeiten der ersten drei Tag«, die mehr die Vorbereitungen waren, besorgte die Hausfrau allein. Nun erschienen in der kommenden Nacht, gewöhnlich schon um 2 oder 3 Uhr, die Wäscherinnen, meist drei an der Zahl, und begannen mit dem eigentlichen Waschen, indem sie dem Wasser noch etwas Schmierseife zusetzten. Das war eine schwere Arbeit, wie sie nur fleißige und ausdauernde Frauen verrichten konnten, und daran war in Dromersheim kein Mangel. Um die Mittagszeit war man damit fertig, und die Wäsche wurde auf der Bleiche ausgebreitet und mehrmals begossen. Oftmals hielten die Männer über Nacht die Wache, denn „Langfinger" gab es auch damals schon. Um die Mittagszeit des nächsten Tages wurde die Wäsche gewendet und unter weiterem Begießen bis zum Abend liegen gelassen. Am letzten Tage kam sie nochmals auf die Bleiche oder bei schlechtem Wetter auf Waschleinen zum Trocknen. Mit Stolz und Zufriedenheit blickten die Wäscherinnen auf ihre saubere, blütenweiße Wäsche, die nun gebügelt, Schränke und Truhen füllte. Als Lohn erhielt jede pro Tag 2 Mark und die Kost. Bei Kaffee und Kuchen wurde ihr Werk redselig beschlossen. — Eine andere Kulturform hat die fleißigen Wäscherinnen abgelöst. Die Waschmaschine, die durch Menschenkraft, jetzt vielfach schon durch den elektrischen Strom in Tätigkeit gesetzt wird, ist an ihre Stelle getreten und hat die Methode geändert. Andere Zeiten, andere Gebräuche! Das Rad der Entwicklung läßt sich nicht aufhalten! Aber Chamissos Gedicht soll das Andenken der wackeren Wäscherinnen bis in ferne Zeiten aufrecht-erhalten — auch in Dromersheim.

       
Inhaltsverzeichnis
Quellen:
Müller: Chronik von Dromersheim

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