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Die Alte Chronik von 1956

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Der Kummerturm

Bis gegen Ende des 17. Jahrhunderts stand außerhalb des Dorfgrabens bei der unteren Bleiche auf dem Anwesen von Karl Josef Lamoth, Ehefrau, und der Huberschen Scheune (Haus Nr. 126 und 125) ein Turm, der den Namen Jammer- oder Kummerturm führte. In Urkunden von 1666, 1716, 1732, 1761 ff., ist die Rede von Wiesen und Baumfeldern ?hinter dem Jammer- oder Kummerturm, oben der Helgerweg", und noch 1907 ist sein Name als Flurbezeichnung bezeugt.

Der Zweck des Turmes als Ort des Jammers lässt uns mittelalterliches Rechtswesen und Rechtsbräuche alter Zeit erkennen. Wer durch Müßiggang, Leichtsinn oder Liederlichkeit in Schulden geraten war und keine Lust verspürte, seinen Gläubigern zu zahlen, wurde ?bekommert", um ihn zur Zahlung zu zwingen. Wer dagegen schuldlos durch Schicksalsschläge in Zahlungsschwierigkeiten gekommen war, blieb von der Kummerlast befreit (Weistum Gau-Bickelheim 1590). Am ?Kummertag" wurde durch den Schultheißen oder das Gericht die ?Kummerklage" erhoben, die bei ?scheinender Sonne", also um die Mittagszeit, stattfinden sollte. Genügte nicht der Arrest auf Ernte oder Hab und Gut eines Schuldners, so wurde er selbst in den Kummerturm gesperrt. Die Einlieferung geschah durch den Ortsdiener, in früherer Zeit Büttel genannt, der dafür bis zu drei Heller bekam. Ein verstockter Sünder wurde unter Umständen an Ketten gelegt, die an einem schweren Block oder Klotz befestigt waren. Ein Bund Stroh diente als Lagerplatz. Durch diese Gerichtshaft konnte der ?Bekommerte" keineswegs seine Schulden abbüßen,- sie hatte lediglich den Zweck, ihn zur Zahlung zu bewegen und weich zu machen. Es galt das Sprichwort: ?Der Kerker quälet, aber zahlet nicht." Dem Inhaftierten wurden oft zwei Nachbarn beigesetzt, die auf seine Kosten für 7Va Heller verzehren konnten. Bei erfolgloser Tortur kamen am nächsten Tage zwei andere, die dasselbe Recht besaßen. Auf ein mit Beschlag belegtes oder gepfändetes Haus (samt Hof) wurde ein Kreuz, ein sog. ?Hauskreuz", befestigt, was in der noch in übertragenem Sinne gebräuchlichen Redensart zum Ausdruck kommt (Spang: Wandern und Schauen 11/1931). In Dromersheim wurde im Jahre 1686 ein ?Frey Memoriall" (Bittschrift) ausgefertigt, ?wegen unserß gummerturmß ab zu brechen ond ein Klocken-Turm zu bauen", womit sein Schicksal besiegelt war.

Wie es scheint, mussten von nun an Arreststrafen in Gau-Algesheim verbüßt werden. An Frevelgerichtstagen der späteren Zeit, in denen über Streitigkeiten, Beleidigungen, Schlägereien, Diebereien und dergl. verhandelt wurde, wird berichtet von drei Tagen Turmstrafe bei Wasser und Brot in Gau-Algesheim. Bei kleineren Vergehen, z. B. geringfügigen Felddiebstählen oder Grasen in nicht eigenen Weinbergen oder auf fremden Äckern, sollten ?die Verbrecher ohne Ansehen an den Stock und Block gestellt werden" (1766). Diese entehrende Strafe war sehr peinlich, da der Betroffene den höhnischen und spöttischen Blicken, vielleicht auch Bemerkungen der Vorübergehenden, besonders der Dorfjugend, ausgesetzt war.

       
Inhaltsverzeichnis
Quellen:
Müller: Chronik von Dromersheim

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