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Die Alte Chronik von 1956

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Der Siebenjährige Krieg (1756-1763) und seine Folgen

Einer verwunderten Frage, was dieser Krieg wohl mit unserem Heimatort zu tun gehabt hätte, könnte man gemeinhin die Berechtigung nicht absprechen. Doch hören wir! Im Siebenjährigen Krieg kämpfte die Kaiserin Maria Theresia gegen Friedrich II. von Preußen um die Wiedergewinnung von Schlesien. Die Kaiserin hatte Verbündete gefunden in Sachsen, dem Reich (anfangs 1757), Frankreich, Russland und Schweden. Der Kurfürst von Mainz, Johann Friedrich Karl von Osten, stand auf kaiserlicher Seite und hatte nicht nur sein reichskonstitutionsmäßiges Kontingent, sondern auch ein ganzes Regiment in Diensten gegeben. Wenn sich das Schlachtengetümmel auch in Sachsen, Böhmen und Schlesien abspielte, so blieb unsere engere Heimat nicht von schwerem Leid verschont. Im Jahre 1758 sind im „gräfl. löbl. Lambergischen Regiment" folgende Dromersheimer Soldaten gestorben: Anton Lehn, Urban Lieborn, Peter Weber, Jakob Desoy und Wendel Desoy.' Von den beiden Gebrüdern Desoy wissen wir, dass sie sich 1757 in Böhmen aufgehalten haben. Alle mögen sich in der buntscheckigen Reichsarmee befunden haben, die im Verein mit den Franzosen im November 1757 bei Roßbach (unweit von Merseburg) eine vernichtende Niederlage erlitten haben, die zu dem Spottlied Veranlassung gab: „Und wenn der große Friedrich kommt und klopft nur auf die Hosen, dann läuft die ganze Reichsarmee, Panduren und Franzosen." Nach dieser Schlacht löste sich die Reichsarmee auf und die Franzosen flohen bis zum Rhein zurück. Deserteure gab es in großer Zahl, darunter auch Dromersheimer, die „unserem gnädigsten Kurfürsten und Herrn zu Mainz" davonliefen.
 
Die Kriegsrechnungen von Dromersheim sind uns erhalten. Sie zeigen, unter welch drückenden Lasten aller Art, häufigen Truppendurchzügen, die Rasttage hielten, längeren Einquartierungen und unerträglichen Fronfuhren unser Ort zu leiden hatte, wodurch es finanziell dem Ruin entgegenging. Die Geschehnisse können nur in ihren markantesten Stellen wiedergegeben werden. Viele kleinere, die aber nicht weniger leidvoll waren, gingen nebenbei:
 
1757 (ohne Datum, sicherlich aber gegen Ende des Jahres) waren 200 Mann französische Infanterie 2 Tage einquartiert; sodann hielten die Husaren des Prinzen Karl von Lothringen Rasttag. Die Unkosten betrugen — auch in allen folgenden Jahren — je Tag und Mann 20 Kreuzer und beliefen sich für dieses Jahr auf 219 fl. 59 Kr.
 
1758 120 Mann kaiserliche Völker 1 Tag einquartiert; denselben 50 Bosen Stroh nach Bingen gefahren; am 26. April 30 Zentner Heu und 26 Malter Hafer (das Malter zu 3 fl.) nach Ockenheim geliefert; den französischen Truppen nach und nach an Heu, Hafer und Stroh geliefert für 167 fl. 30 Kr.; nach Algesheim 14 Paar Ochsen gegeben, um die saarbrückischen Völker hinweg zuführen; 2 Komp. (80 Mann) französische Polaken 6 Tage einquartiert; dieselben mit 6 Paar Ochsen und 3 Wagen nach Rüsselsheim gefahren; die Bagage der französischen Reiter mit 9 Paar Ochsen und 3 Wagen nach Höchst gefahren. (Die Fronfuhren wurden immer vergütet, für die Fahrt nach Höchst z. B., die 3 Tage in Anspruch nahm, bezahlte die Gemeinde insgesamt 54 fl.) Am 21. Mai 9 Paar Ochsen mit 3 Wagen nach Algesheim geschickt, um die dortigen französischen Truppen nach Kastel zu fahren; am 27. Mai übernachteten 5 französische Offiziere mit 9 Pferden in Dromersheim; am 17. Oktober mit 11 Paar Ochsen 240 Bosen Stroh und 4 Malter Hafer nach Bodenheim gebracht; am 26. Oktober 138 Rationen Heu nach Nieder-Olm geliefert; noch 650 Mann 1 Tag einquartiert. Die Gesamtkosten für 1758 betrugen 769 fl. 54 Kreuzer.
 
1759: Bis Ende September hatte Dromersheim eine Ruhepause. Von Anfang Oktober bis Ende Dezember mussten wieder Fronfuhren nach Hochheim, Weinheim, Kastel und Kreuznach geleistet und Fourage an Heu, Hafer und Stroh geliefert werden. Neben kleineren Einquartierungen lagen am 16. November 375 Mann Franzosen im Dorf, die am 17. November mit 8 Wagen, jeder Wagen mit 2 Paar Ochsen bespannt, nach Dörrebach gebracht wurden (2 Tage, 54 fl.). Die Gesamtkosten für das Jahr 1759 beliefen sich auf 419 fl. 12 Kr.
 
1760: Im Januar und Februar waren wieder mehrfach Ochsengespanne unterwegs, um Truppen und Fourage zu befördern. Ende März trieben sich „fischerische Husaren" im Ort herum. 2 Husaren haben dem Gresch die Fenster eingeschlagen, die auf Gemeindekosten für 6 fl. wieder gemacht wurden. Im April hielten 2 Komp. (60 Mann) Küraßreiter 2 Tage Rasttag. Ihre „Equipage" (Kriegsgerät) wurde mit 4 Wagen Doppelgespann nach Genheim gebracht; am 18. und 19. April waren 40 Mann Franzosen, am 20. April 135 Mann „fischerische Völker", am 13. und 14. Mai 136 Mann Franzosen, am 23. Mai abermals 210 Mann Franzosen, am 24. und 25. Mai ein kaiserlicher Offizier mit 128 Mann und am 4. Juni 1 Oberstleutnant mit 2 Offizieren und 54 Mann kaiserliche Völker einquartiert. Am 30. September wird wieder ein „fischerischer" Wachtmeister und im Dezember ein französischer Offizier genannt. Mit den üblichen Ochsengespannen wurden die Truppen jeweils weiterbefördert. Die Kosten der Einquartierung mit allem Drum und Dran betrugen für 1760 insgesamt 757 fl. 6 Kr.
 
1761: Vom 10. April bis 18. August (121 Tage) war eine Komp. (60 Mann) französische Reiter einquartiert, was die gewaltige Summe von 2420 fl. verschlang. Nebenher hören wir von einem deutschen Korporal und einem „fischerischen" Wachtmeister. Kranke Franzosen wurden mit 2 „Karch" nach Weyler geführt. Am 7. September war 1 Offizier mit 94 Mann 1 Tag und am 20. September 32 Mann kaiserlicher Völker 2 Tage einquartiert. Vom März bis Ende des Jahres wurden 60 Sack Mehl von Frankfurt und Mainz teils nach Alsfeld, teils nach Hessen Kassel verakkordiert, die von fremden Fuhrleuten dorthin gebracht wurden. Die Gesamtauslagen für 1761 betrugen 3130 fl. 16 Kr.
 
1762: Dieses Jahr brachte den Rekord an Unkosten: vom Februar bis November wiederum 61 Sack Mehl von Frankfurt nach Ziegenhain, Gießen und die Gegend der Lahn verakkordiert; am 28. Dezember noch 25 Sack Mehl von Mainz nach Bingen. Jud Moses Gedern von Mainz erhielt für Fouragelieferung 667 fl. 57 Kr.; dazu noch 5 fl. Zinsen. Vom 15. Dezember 1762 bis 15. Februar 1763 (62 Tage) hielten 3 Komp. französische Dragoner mit 3 Kapitänen, 3 Cornet, 3 Wachtmeistern und 120 Mann ihr Winterquartier in Dromersheim. Gesamtunkosten für dieses Jahr 3574 fl. 5 Kr.
 
1763: Zusätzlich zu vorgenanntem Winterquartier hielten vom 15. bis 17. Januar 2 Komp. (130 Mann) kaiserliche Küraß-Reiter und am 16. Januar 3 Komp. (200 Mann) französische Infanterie Rasttag. Am 14. Februar erschienen wieder 60 Mann „fischerische" Infanterie für 4 Tage. Dromersheim war in diesen Monaten in ein buntes, turbulentes Heerlager eingetaucht. Wie mag man aufgeatmet haben, als am 15. Februar der Friede zu Hubertusburg (einem sächsischen Jagdschloss) geschlossen wurde. Die letzte Einquartierung am 2. und 3. Juni (2 Tage) bestand aus einem kaiserlichen Kapitän, 2 Leutnants und 30 Gemeinen. Die Unkosten für dieses Jahr betrugen 673 fl. 32 Kr. Vorgenannte Summen an Kriegskosten, Fronden und Einquartierungen in den 7 Kriegsjahren ergeben den Betrag von 9742 Gulden 4 Kreuzer. Dazu kam noch die Lieferung von Heu aus den Gemeindewiesen für 5 Jahre (1758—1762), und zwar für jedes Jahr 64 Zentner ä 1 fl. 30 Kr. = 480 fl., sowie die Lieferung von Heu und Stroh durch Gemeindsleute und Kosten für Mehlfuhren, ferner die Einnahmen von 10 Jahren aus der Schafweide in Höhe von 1200 fl. Die Gesamtkriegskosten von 13 670 fl. 12 Kr. vermindern sich um 2201 fl. 24 Kr. Rückvergütungen, so dass für die Gemeinde eine Schuldenlast verblieb von 11 468 fl. 48 Kr. Das entsprach dem damaligen Wert von rund 3820 Zentnern Hafer oder 7640 Zentnern Heu, was sich unschwer auf den heutigen Geldwert umrechnen lässt. Im Jahre 1762 wird die Gemeinde als „deplorabiliter depauperata", d. h. in bejammernswertem Maße verarmt bezeichnet. Ein Bericht aus 1772 besagt, dass die Schuldenlast 11 000 fl. betrage. Diese Kapitalien seien in Kriegszeiten und Mißjahren, „den zeithero gehabten schlechten Weinjahren" (viel Ungeziefer!), aufgenommen worden. Die Gemeinde könne nicht einmal die Zinsen bezahlen! „ein Merkliches sei auch noch rückständig". Sie sei in einem besonderen Notstand und ganz verarmt. (Von der Gemeinde Dietersheim wird ähnliches berichtet.) Die herrschaftlichen Schatzungsgelder und Abgiften (Abgaben) konnten trotz „dem schwersten Executionszwang" nicht eingetrieben werden, „wobei denen mehrsten (in den meisten Fällen) der Exequent (Ein- treiber) sein Executionsgeld nicht erhalten konnte". Eine traurige Bilanz aus dem Siebenjährigen Kriege und seinen Folgen, die Bände spricht. Im Jahre 1778 betrug die Schuldenlast 11 295 fl., die z. T. mit 5%>, z. T. mit 4°/o zu verzinsen waren. Die Gläubiger waren: die Frühmesserei mit 899 fl.; das Katharinenhospital mit 1500 + 500 + 3000 + 600 fl. = 5600 fl.; die hiesige Pfarrei mit 70 + 40 fl. = 110 fl.; Georg Schuhmacher mit 68 + 18 fl. = 86 fl.; Xaver d'Lorenzi von Bingen mit 250 fl.; Emst Fischer von Bingen mit 200 fl.; Schultheiß Martin Hassemer von Gaulsheim mit 225 fl.; Ottilia Knocke Wtw. mit 225 fl.; Dr. Strack, medikus, mit 1200 fl.; das Erzbischöfl. Seminar in Mainz mit 2000 fl. und das St. Martins-Spital in Bingen mit 500 fl. - Im Jahre 1790 lieh die Gemeinde abermals 2000 + 2000 fl. = 4000 fl. von der Freih. Geheimrätin von Cunibertin in Mainz.
 
Die katastrophale wirtschaftliche Lage der Gemeinde war wohl mit der Anlass, dass in den Jahren 1784—1786 rund 40 Personen zum Wanderstab griffen, um in Ungarn und dem Banat eine neue, bessere Heimat zu suchen (s. „Bevölkerungsbewegung"). Wie oben erwähnt, gab es in diesen langen unruhigen und kriegerischen Zeitläufen Deserteure in Massen; ein charakteristisches Zeichen der Zeit. In einem kurfürstlichen Amtsdekret auf 1780 heißt es noch, dass die Desertion in der Garnison Mainz „sehr stark umzugreifen beginnt". Darüber brauchen wir jedoch nicht sonderlich erstaunt zu sein, denn die politische und militärische Ohnmacht des Reiches war offenbar. Ein staatspolitisches Denken, wie es sich später ausgeprägt hat, war nicht vorhanden. Das geht auch aus obiger Publikation hervor, die sagt, dass auf fremde Werbungen ohne Ausnahme ein scharfes Augenmerk zu richten sei. Die Bindungen waren nur locker, und wo dachte schon im allgemeinen der gemeine Mann daran, für Ideale zu kämpfen. Es wäre daher verkehrt, heutige Maßstäbe und Begriffsauffassungen auf die damalige Zeit zu übertragen. Wenn auch Desertionen nicht entschuldigt werden sollen, so glauben wir doch, dass wir die Desertierten aus Dromersheim ohne Bedenken mit Namen nennen können. Es waren von 1750 bis 1781: Jakob Toffi, Henrich Betgen, Anton Schneider, Henrich Dickenscheid, Johannes Weber, Henrich Bauer, Johannes Gresch, Paulus Tischleder, Christian Mayß, Martin Gresch, Jakob Stockheim, Mathes Ersfeld, Johannes Müller, Peter Hartmann, Johann Pfeifer, Peter Specht, Henrich Christian und Henrich Nayß. Sie alle befanden sich in einem Alter von 20—30 Jahren.
 
Eine Notiz aus dem wirtschaftlichen Sektor der damaligen Zeit unseres 310—320 Einwohner zählenden Dorfes:

  • Im Jahre 1772 waren in Dromersheim 2 Pferde, 10 Ochsen, 135 Kühe und 25 Rinder. Im Jahre 1780 6 Pferde und 42 Zugochsen (Kühe und Rinder sind nicht angeführt) sowie 1 ½ vierspännige Pferde- und 11 ½ vierspännige Ochsenwagen.

Vergleichsweise seien entsprechende Zahlen aus späterer Zeit hier angefügt:

  • 1806: 1 Pferd, 78 Ochsen, 145 Kühe, 0 Schafe, 0 Ziegen, 0 Schweine, 0 Faßel.
    An Handwerkern waren vorhanden: 1 Wagner, 3 Schuster, 1 Metzger, 2 Bäcker, 2 Schankwirte, 2 Kaufleute, 1 Schneider, 1 Schmied, 3 Maurer, 1 Schreiner.
    An pflugbarem Feld 1100 Morgen, an Weinbergen 250 Morgen, an Wiesen 40 Morgen, an ödem Land 40 Morgen (= 1390 Morgen).
    Das Pfarrgut betrug 26 Morgen, das Schulgut ½ Morgen.
    An Gebäulichkeiten: 1 Kirche, 1 Pfarrhaus, 1 Schulhaus, 1 Gemeindehaus, 1 Gemeindegebäude, 130 Wohnhäuser.
  • 1807: 3 Pferde, 60 Ochsen, 160 Kühe, 0 Schafe, 0 Ziegen, 100 Schweine, 1 Faßel. 1824: 10 Pferde, 2 Bullen, 36 Ochsen,  220 Kühe und Rinder, 6 Schafe, 80 Schweine, 0 Ziegen (Einwohnerzahl 824).
  • 1856: 20 Pferde, 2 Bullen, 28 Ochsen, 370 Kühe und Rinder, 5 Schafe, 180 Schweine, 100 Ziegen (Einwohnerzahl 1068).
  • 1955: 45 Pferde, 2 Maulesel, 24 Traktoren, 216 Rindvieh, 0 Schafe, 308 Schweine, 31 Ziegen, 23 Bienenstöcke.
       
Inhaltsverzeichnis
Quellen:
Müller: Chronik von Dromersheim

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